Sprachentwicklung bei Kindern: Verlauf und Tipps zur Förderung
Das Wunder der Sprachentwicklung beginnt früh. Wie diese faszinierende Entwicklung verläuft und wie du deinen kleinen Sonnenschein dabei unterstützen kannst, haben wir in diesem FamilienMoment zusammengestellt.
✔️ in Zusammenarbeit mit Dr. med. Snjezana-Maria Schütt, Kinderärztin
Ab wann fangen Kinder an zu sprechen?
Jedes Kind ist einzigartig und in seiner Entwicklung individuell. Auch wenn sich Kinder die sprachlichen Fähigkeiten in bestimmten Phasen der Sprachentwicklung aus eigenem Antrieb aneignen, gibt es in allen Teilbereichen der Sprachentwicklung individuelle Unterschiede. So geben die sogenannten Meilensteine der kindlichen Entwicklung zwar wichtige Richtwerte an, wann die meisten Kinder einer Altersstufe bestimmte Fähigkeiten erreichen, allerdings sollte man sie stets in ihrer Gesamtheit betrachten und dabei berücksichtigen, dass es innerhalb der Norm ein breites Spektrum gibt. Das gilt auch für die Sprachentwicklung: Natürlich gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse und Erfahrungswerte darüber, wann der große Moment des ersten gesprochenen Wortes, später auch der ersten Sätze, zu erwarten ist. Bei vielen Kindern ist es um den ersten Geburtstag herum so weit, dass sie erste Personen wie Mama und Papa oder Gegenstände wie einen Ball benennen können.
Doch auch wenn die ersten Wörter etwas länger auf sich warten lassen, ist das nicht automatisch ein Anzeichen für eine Sprachentwicklungsstörung. Viele Kinder, die etwas später mit dem aktiven Sprechen starten, holen die Fähigkeiten und den Wortschatz im Verlauf meist nach. Im Zweifel sollte jedoch eine kinderärztliche Abklärung und bei Bedarf eine logopädische Mitbeurteilung erfolgen, damit die Kinder, die eine professionelle Unterstützung benötigen, diese auch zeitnah erhalten.
Meilensteine bei der Sprachentwicklung von Kindern: Tabelle
Ist es nicht unglaublich faszinierend, wie Babys und Kleinkinder in ihrer Entwicklung von Meilenstein zu Meilenstein springen? Gerade beim Spracherwerb können Erwachsene nur staunen: Diese Entwicklung folgt einem anderen Muster als die späteren Bemühungen, eine Fremdsprache zu erlernen. Fachleute sprechen von der „natürlichen Sprachentwicklung“, im Laufe derer die Kinder die Sprache ihrer Bezugspersonen geradezu aufsaugen. Sie erlernen nicht nur den Wortschatz, sondern auch die Regeln des Satzbaus und der Grammatik, ohne sie sich jemals bewusst zu machen.
Übersicht über die Sprachentwicklung
Welche Meilensteine Kinder durchlaufen, haben wir in einer Tabelle zusammengefasst. Sie dient zur Orientierung und kann weder eine fachärztliche noch eine logopädische Beurteilung ersetzen. Auf die Angaben zur Mindestanzahl an gesprochenen Wörtern in einer bestimmten Altersstufe wird weitgehend verzichtet, da es international keine einheitlichen Definitionen gibt und die Diagnosestellung grundsätzlich in fachliche Hände gehört.
Für deine Einschätzung ist somit nicht so sehr die Anzahl von Wörtern entscheidend, die dein Kind spricht. Vielmehr ist es die Tatsache, dass dein Kind gut hören kann und dass es mit zunehmendem Alter sowohl in Bezug auf das Sprachverständnis als auch in Bezug auf den aktiven Wortschatz, die Aussprache und die Satzkonstruktion seine Fähigkeiten erweitert.
Alter | Was verstehen Kinder? | Was können Kinder äußern? | Beispiele |
12 bis 18 Monate | Fragen und Verbote, Zuordnungen von Wörtern zu Gegenständen oder Personen, befolgen einfache Aufforderungen ohne Hilfe von Gesten | Beginn der gezielten Lautbildung, Ein-Wort-Sätze, sprechen mehrere Wörter, ahmen Tierlaute und Geräusche nach | „Mama“ „Ball“ |
18 bis 24 Monate | Zunahme des Sprachverständnisses, können zwei Aufforderungen befolgen, zum Beispiel „Hol das Auto und leg es in die Kiste.“ | Erweiterung des Wortschatzes, Benutzung erster Verben, „nicht“ als Verneinung, Zwei- und Mehrwort-Sätze, erste Fragen, nennen sich selbst beim Namen | „Papa schlafen“ „nicht essen“ |
2 bis 3 Jahre | erste Präpositionen wie an, auf oder bei, Personalpronomen wie ich, du, mein oder dein | kurze Sätze mit drei und mehr Wörtern in korrekter Wortstellung, mit etwa 3 Jahren: Benennung der Grundfarben | „Nicht in Bett“ „Ich spiele Ball.“ |
3 bis 4 Jahre | längere Unterhaltungen sind möglich | ständig wachsender Wortschatz, viele Warum-Fragen, erzählen kleine Geschichten, benutzen Vergangenheitsformen | „Ich war heute bei Oma.“ |
Ab 5 Jahre | vollständiges Verstehen | Beherrschen der Grundlagen der Sprache mit Ausdrucksmöglichkeiten für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft | „Ich war heute bei Oma. Morgen möchte ich wieder zu Oma gehen. Kommst du mit?“ |
Entwicklungsschritte im Detail
18 bis 24 Monate
Etwa mit anderthalb Jahren beginnt das sogenannte erste Fragealter: Kinder fangen an, nach Begriffen und Namen zu fragen. Sie zeigen auf Gegenstände, um die richtige Bezeichnung zu erfahren. Oft äußern sie selbst auch fragend die vermutete Bezeichnung. Wenn dein Kind auf seine Schuhe zeigt und fragt: „Tuh?“, kannst du antworten: „Ja richtig, das sind deine Schuhe!“.
Erlernen neuer Wörter
Es ist normal, dass Wörter und bestimmte Laute wie das „Sch“ in diesem Alter noch nicht korrekt gebildet werden können. Reagiere trotzdem bestätigend auf die Fragen. So lernt dein Sonnenschein ständig neue Wörter dazu und hört direkt, wie diese in einen vollständigen Satz eingebunden werden. Der Wortschatz wächst in diesem Alter rasant. Während der Wortschatz um den zweiten Geburtstag herum meist um die 50 Wörter beträgt, setzt anschließend der sogenannte Wortschatzspurt ein, bei dem jeden Tag neue Wörter hinzukommen. Es entstehen auch bereits die ersten Zwei- und Mehrwortsätze.
Zwei bis drei Jahre
Etwa im Alter von zwei bis drei Jahren beginnt das Abenteuer Satzbau. Während Erwachsene beim Erlernen einer Sprache die Regeln der Grammatik mühsam erarbeiten müssen, erwerben sie sich Kinder in ihrer Muttersprache unbewusst und fast wie von selbst. Natürlich gehören Fehler und lustige Satzkonstruktionen dazu.
Je häufiger Kinder bestimmte Wörter und Wortstellungen hören, umso leichter bekommen sie ein Verständnis davon und eignen sich die korrekte Grammatik an. Etwa ab dem vierten Lebensjahr kann dein Schatz weitgehend richtig sprechen, Fragen stellen und Zusammenhänge erläutern. Für dich bedeutet das: echte kleine Unterhaltungen mit deinem Kind!
Drei bis vier Jahre
Wieso, weshalb, warum? Was die Geduld von Eltern auf die Probe stellt, ist für die Entwicklung der Kinder enorm wichtig: Im zweiten Fragealter wächst die Neugier. Kinder stellen Fragen über Fragen, denn sie wollen die Welt und ihre Zusammenhänge verstehen. Beim Sprachverständnis und auch in der Sprachproduktion haben sie nun die Fähigkeit, den Dingen auf den Grund zu gehen. Ihr Wortschatz wächst weiter und auch die Grammatik und der Satzbau sind in der Regel gut gefestigt.
Ab fünf Jahren
Ein kleiner Mensch, eine große Entwicklung: Etwa fünf Jahre nach der Geburt hat dein Sonnenschein die Grundlagen der Sprachentwicklung erworben. Er kann sich in verschiedenen Zeitformen – also in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – ausdrücken.
Sein Wortschatz umfasst meist sogar feine Abstufungen und verschiedene Bezeichnungen für einen Gegenstand. Er versteht Ober- und Unterbegriffe wie zum Beispiel Blume, Tulpe, Rose, Sonnenblume und wendet sie auch an.
Anzeichen und Ursachen für eine verzögerte Sprachentwicklung
Für Eltern ist es nicht einfach, zu erkennen, ob der eigene Nachwuchs eine verzögerte Sprachentwicklung hat, denn jedes Kind entwickelt seine Fähigkeiten anders. Aus diesem Grund gibt es die regelmäßigen und vorgeschriebenen U-Untersuchungen beim Kinderarzt, der als Experte die Entwicklung deines Kindes beurteilt. Er wird dich fragen, was dein Schatz bereits verstehen und aktiv äußern kann. Mögliche Anzeichen für eine verzögerte Sprachentwicklung sind:
- Die Laut- und Wortproduktion verringert sich, statt sich weiterzuentwickeln.
- Das Kind reagiert nicht auf Ansprache oder laute Geräusche.
- Mit zwölf Monaten sind noch keine Silbenketten wie „gagaga“ zu hören.
- Im Alter von 24 bis 30 Monaten spricht das Kind weniger als 50 Wörter.
- Das Kind spricht mit zunehmendem Alter nur wenig, ist nur schwer verständlich oder zeigt einen ungewöhnlichen Satzbau.
Sollte dein kleiner Schatz eines oder mehrere dieser Anzeichen zeigen, wende dich für eine medizinische Abklärung an deinen Kinderarzt.
Ursachen für eine verzögerte Sprachentwicklung
Die Gründe für eine verzögerte Sprachentwicklung können vielfältig sein und erfordern stets eine fachliche Abklärung. Die häufigsten Gründe sind:
- eingeschränktes Hörvermögen: Eine Einschränkung des Hörvermögens kann entweder angeboren oder erworben sein.
Da das Gehör eine wichtige Voraussetzung für die Sprachentwicklung ist, wird bereits nach der Geburt bei allen Neugeborenen ein Hörscreening durchgeführt. Auch wenn Kinder im weiteren Verlauf kaum oder auffällig wenig sprechen, werden Fachleute zunächst das Hörvermögen überprüfen. - häufige Infekte: Infekte wie wiederkehrende Mittelohrentzündungen können beispielsweise zu Belüftungsstörungen des Mittelohres führen und somit das Hörvermögen und die Sprachentwicklung beeinträchtigen. Hier ist eine Therapie der Erkrankung wichtig, um das Hörvermögen und die Sprachentwicklung zu verbessern.
- angeborene Ursachen: Fehlbildungen oder vererbte Hörstörungen sollten frühzeitig erkannt und behandelt werden. In vielen Fällen kann mit den entsprechenden Hilfsmitteln und einer gezielten Förderung und Therapie die Entwicklung positiv unterstützt werden.
In einigen Fällen ist eine Sprachentwicklungsverzögerung auch familiär bedingt. Auf Nachfrage liegen bei den sogenannten „Late Talkern”, also späten Sprechern, ähnliche Fälle in der näheren Verwandtschaft vor. Wissenschaftler gehen daher davon aus, dass der Zeitpunkt des Sprachbeginns genetisch veranlagt ist. Auch Ursachen wie neuronale Störungen, eine Intelligenzminderung oder allgemeine Entwicklungsverzögerungen können der Grund für eine verzögerte Sprachentwicklung sein. In diesen Fällen wird dich der Kinderarzt aufklären und beraten.
Unterschied zwischen einer Sprachentwicklungsverzögerung und einer -störung
Eine verzögerte Sprachentwicklung muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass eine Störung der Sprachentwicklung vorliegt. Ein Teil der Kinder, die eine Sprachentwicklungsverzögerung haben, holt den Rückstand mit einer entsprechenden Sprachförderung im familiären Alltag wieder auf. Bei Kindern, die älter als drei Jahre sind und deutliche Defizite in verschiedenen Bereichen aufweisen, spricht man definitionsgemäß von einer Sprachentwicklungsstörung.
Sprachentwicklung bei Kindern fördern: Tipps
Als Elternteil gestaltest du die Welt, in der dein Liebling aufwächst. Es lernt durch dich als Vorbild. Ein sprachlich aktives Umfeld ist für die Entwicklung deines Kindes wichtig und förderlich.
Schon bevor das Kind selber spricht, saugt es die Reize aus seiner Umwelt auf: Dazu gehört nicht nur das Sprechen, sondern auch Mimik, Gestik und die Körperhaltung – all das ist Kommunikation. So förderst du die Sprachentwicklung:
- Spreche und singe mit deinem Schatz.
- Fingerspiele und Reime machen Spaß und fördern einen spielerischen Umgang mit der Sprache. Das Kind verinnerlicht: Sprechen macht Spaß!
- Zeige und erkläre Alltagsgegenstände.
- Beginne früh, einfache Ereignisse wie „Sieh mal aus dem Fenster: Da ist ein Vogel.“ und Alltagshandlungen wie „Ich decke jetzt den Tisch." in vollständigen Sätzen zu erklären. Auch wenn dein Kind den Sinn noch nicht vollständig versteht, wird es sich später an den Satzbau und der Sprechweise orientieren. Seine Neugier auf die Welt ist die beste Motivation, mit dem Sprechen zu beginnen!
- Versuche, alle Fragen geduldig zu beantworten. Auch wenn es im typischen Fragealter sehr viele Fragen sein werden.
- Vorlesen und Geschichten erzählen fördern Wortschatz und Sprachverständnis.
- Lieder und Spiele bieten im Alltag immer wieder Kommunikationsanlässe und motivieren deinen Schatz zum Entdecken der eigenen Sprachfähigkeiten.
- Benenne Gefühle und spreche mit deinem Kind darüber. Das legt den Grundstein dafür, dass es später ebenfalls offen über seine Innenwelt sprechen kann.
Wenn dein Kind erst am Anfang dieser spannenden Reise steht, dann schaue in unseren FamilienMoment zur Sprachentwicklung bei Babys.
Die meisten Eltern können es kaum erwarten, die ersten Worte ihres Kindes zu hören. Der Moment, wenn es dann soweit ist und sie das erste Mal ein „Mama“ oder „Papa“ hören, geht mit einer großen Freude und einem besonderen Erinnerungsplatz im Herzen der Eltern einher. Und auch wenn dieser besondere Augenblick eine gewisse Vorbereitungszeit braucht, wird die Weichenstellung für diesen sprachlichen Meilenstein schon sehr früh gelegt. Denn bereits im Mutterleib können Ungeborene Stimmen erkennen und bringen zur Geburt sowohl die anatomischen Voraussetzungen für den Spracherwerb als auch die Bereitschaft zur Kommunikation mit sich. Diese sind für den Spracherwerb eines Kindes ebenso wichtig wie das sprachliche Umfeld, vielfältige Sinneserfahrungen und die Interaktion mit den Bezugspersonen. Kinderärztin Dr. med. Snejzana Schütt
Kinderärztin
Dr. med. Snjezana-Maria Schütt ist Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin und Mutter von zwei Kindern. Nach ihrer Facharztausbildung an einer Universitätskinderklinik war sie in verschiedenen Bereichen der Kinderheilkunde tätig. Ihr Wissen und ihre Erfahrung im kinderärztlichen Bereich teilt sie auf ihrem Blog „die-kinderherztin” und klärt in den sozialen Medien über wichtige Bereiche der Kindergesundheit auf. Auch bei FamilienMomente steht sie Eltern bei pädiatrischen Fragen virtuell zur Seite.